Lock-Down der 2. und die lange Suche nach einem für Lüli würdigen Prediger

2.11.2020

Wer Asterix-Hefte mag, kennt die Gallier und Klein-Gallien.


Ich lebe seit 1998 aus familiären Gründen in Lützellinden und habe den Status des „Zugezogenen“ als lebenslängliche „Brandmarkung“ akzeptiert und lieben gelernt. Wenn mir eine dörfliche Diskussion zu „kleingeistig“ verläuft, denke ich daran, dass ich manches nicht verstehen kann oder soll „Mir schwätze Bladd, dass verstisst Du joa net.“ ich bin ja „Zugezogener“ oder wie manche sagen „der ist nicht von hier….“. Meine Frau „ist von hier“, zählt das für mich?

Wenn mich im Rhein-Main-Gebiet jemand fragt, wo ich wohne, kommt nach meinem Bekenntnis zu „Lützellinden“ oft der Satz „da gibt es Handball- die waren mal deutscher Meister oder?“. Die Fragenden wissen aber überhaupt nicht wo Lützellinden liegt… Gießen kennen scheinbar wenige, also wohne ich zwischen Frankfurt und Marburg, Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet geben sich mit dieser Lagebeschreibung außerhalb des Googlemaps-Universums zufrieden.


Weil ich schon vor langer Zeit zugezogen bin, habe ich mich gefragt, was Lützellinden eigentlich heißt. Lützel bedeutet klein, wenig und bezeichnet Ortschaften und Fließgewässer sowie einen Gebirgsteil in Deutschland, konkret in einem gleichnamigen Stadtteil von Koblenz. Lützellinden wurde vermutlich um 800 gegründet und war laut Wikipedia viele Jahrhunderte eine reiche Bauerngemeinde und es gibt dort einige landwirtschaftliche Betriebe. Unser Nachbarstadtteil Allendorf fand nach gleicher Quelle eine erste schriftliche Erwähnung in einer Schenkungsurkunde vom 27. Februar 790 des Lorscher Codex unter dem Namen Aldentorph. Um den Besitz/die Herrschaft dieser Gießener Stadtteile stritten vornehme Herrschaften und auch die Kirchen pflegten eine historische Grenzziehung Ihrer eigenen Zuständigkeitsbereiche in diesem kleinen Gebiet. Ob die Allendörfer sich für etwas Besseres hielten, was den Zugezogenen von einheimischer Seite auch gerne nachgesagt wird, ist nicht überliefert. Allendorf, was es in Deutschland häufiger gibt, Kleinlinden, Großen-Linden und Lützel –übersetzt Klein- oder Geringlinden- trennt voneinander wenige Kilometer, die Namensähnlichkeiten sind frappierend. Wenn der „Allesfresser“ Stadt Gießen etwas beschließt, wie zum Beispiel einen vor Ort unerwünschten Ausbau eines sinnbefreiten Gewerbegebietes, werden die Einheimischen mit tatkräftiger Unterstützung der Zugezogenen zu Galliern im weitesten Sinne.
Zu Galliern im engeren Sinne werden gerade sehr viele Menschen im heimischen Lande, weil Politiker im heutigen Berlin (früheres Rom) einen Lock-Down-Light, den 2. beschlossen haben. Über den Sinn- und Wirkungsgrad dieser weiteren wirtschaftlichen und grundrechtlichen Einschränkungen darf –außer mit AFD-Anhängern und Verschwörungstheoretikern- gerne diskutiert und konstruktiv gestritten werden. Neben den statistisch diskutablen Werten als Entscheidungsgrundlage bedroht dieser erneute Lockdown menschliche Existenzen wirtschaftlich, psychisch, und sofern man angesteckt wird, auch physisch erheblich.


Nicht zu verharmlosende Krisen bieten immer auch Chancen; Digitalisierung, Homeoffice, reduzierter (Fahr-)Streß, neue Ideen, neue Möglichkeiten und Pfade etc., welche bis März 2020 unvorstellbar waren. Sich auf das Wesentliche zu beschränken und sich über selbiges freuen, ist in diesen Tagen eine gefragte Tugend. Unsicherheiten/Risiken als zum Leben dazugehörig zu akzeptieren und sich mit unveränderbaren Lebensumständen bestmöglich zu arrangieren, gilt heute wie damals zu Zeiten der Gallier. In Krisenzeiten zeigt sich, wer verantwortungsvoll handelt und Verantwortung übernimmt. Auch
Freundschaften sind erst dann belastbar, wenn Krisen gemeinsam und unterstützend bewältigt wurden. Die Gallier hatten mit Ihrem weniger bedeutendem König Majestix so eine Art Grabe-Bolz. Der wirkliche Star war Asterix: klein, intelligent und mit Zaubertrank zu Übermenschlichem befähigt. Lützellinden, nicht zu verwechseln mit Klein- oder „Weniglinden“, hat sich bezogen auf das „Gewerbegebiet-Ansinnen der Römer der Stadt Gießen“ erfolgreich gewehrt. Von dem Lockdown der
„Römer aus Berlin“ wird das landwirtschaftlich geprägte Dorf mangels Dorfkneipen und Hotels eher mittelbar betroffen sein.


Ein für „Lüli“ geeigneter Pastor ist nötig und wird hiermit zur Fahndung ausgeschrieben. Ein zugezogener Pfarrer der Kirchengemeinde hat unser „Gallien“ wieder verlassen. Ein zugezogener Prediger widmet sich jetzt anderen beruflichen Herausforderungen.


Wenn jemand jemanden kennt, am besten gläubig und vom Fach, ob Zugezogener oder Einheimischer, von Nah- oder Fern, er/sie muss Lützellinden (noch) nicht kennen und wäre damit, wie beschrieben, in bester Gesellschaft. Nur echte Römer, welche die beschriebenen Anforderungen erfüllen, sind der Logik dieses Artikels folgend, vom Bewerberverfahren ausgeschlossen. Dieses zentral gelegene Lützellinden, in der großzügig definierten Mitte Deutschlands liegend, und seine Bewohner hätten einen würdigen Prediger verdient. Ehrlich gesagt: nötig!


In diesem Sinne Gruß an alle Gallier und bleibt gesund!
Euer Jörg Reklies